Diagnosefehler bei Herzinfarkt: Ärztliche Fehldiagnose bei EKG-Befundung – Ihre Rechte als Patient
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Diagnosefehler bei Herzinfarkten: Wenn das EKG falsch interpretiert wird.
Die korrekte Diagnose eines Herzinfarkts kann lebensrettend sein – und umgekehrt kann eine Fehldiagnose fatale Folgen haben. Besonders problematisch ist die fehlerhafte Interpretation von EKG-Befunden, die zu gravierenden Verzögerungen in der Behandlung führen kann. Wie ein Urteil des OLG Hamm eindrucksvoll belegt, können dabei mehrere ärztliche Fehler in einer Behandlungskette auftreten, die für den Patienten verheerende Konsequenzen haben.
Für Betroffene und Angehörige stellt sich in solchen Fällen die Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten. Dieser Beitrag informiert Sie über Ihre Rechte bei einer Fehldiagnose im Zusammenhang mit einem Herzinfarkt und zeigt anhand einer konkreten Gerichtsentscheidung, wie Ärzte und Krankenhäuser bei Diagnoseirrtümern haften können.

Diagnosefehler bei Herzinfarkt: Rechtliche Grundlagen der Arzthaftung
Die Haftung für ärztliche Behandlungsfehler ergibt sich aus verschiedenen Rechtsgrundlagen, sowohl aus dem Vertragsrecht (§§ 630a ff. iVm 280 ff. BGB) als auch aus dem Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB). Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn der behandelnde Arzt den medizinischen Standard nicht einhält – also von dem abweicht, was ein sorgfältiger Facharzt in der konkreten Behandlungssituation getan hätte.
Bei der Beurteilung von Diagnoseirrtümern unterscheidet die Rechtsprechung zwischen:
- Einfachen Diagnoseirrtümern: Diese führen nicht automatisch zur Haftung, da eine Diagnose immer mit Unsicherheiten verbunden ist.
- Behandlungsfehlern im Zusammenhang mit Diagnosen: Diese können vorliegen, wenn notwendige diagnostische Maßnahmen unterlassen werden oder vorliegende Befunde fehlerhaft interpretiert werden.
- Groben Behandlungsfehlern: Diese liegen vor, wenn ein Fehler geschieht, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf und der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint.
Besondere rechtliche Bedeutung hat die Einstufung als „grober Behandlungsfehler“, da dieser zu einer Beweislastumkehr führt: Der Arzt muss dann beweisen, dass der Schaden auch bei korrekter Behandlung eingetreten wäre – eine erhebliche Erleichterung für den Patienten im Prozess.
Fallbeispiel aus der Rechtsprechung: OLG Hamm zu EKG-Fehldiagnosen
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für die rechtliche Bewertung von EKG-Fehldiagnosen bietet ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm. Der Fall betraf einen Diagnosefehler bei Herzinfarkt bei einen 42-jährigen Patienten mit Vorerkrankungen (Diabetes mellitus, Übergewicht, Hypertonie), der mit Brustschmerzen in ein Krankenhaus eingeliefert wurde.
Die Behandlungsfehler im Detail:
- Fehlerhafte EKG-Interpretation am ersten Tag: Der behandelnde Arzt übersah im Vergleich zweier EKGs dynamische Veränderungen, die auf ein hohes Risiko eines Herzinfarkts hindeuteten. Dies wurde vom Gericht als schwerwiegender Diagnosefehler bewertet.
- Fehlinterpretation des Belastungs-EKGs am zweiten Tag: Trotz eindeutiger ST-Senkungen in mehreren Ableitungen wurde der Patient fälschlicherweise als Niedrigrisikopatient eingestuft. Das Gericht bewertete dies als groben Behandlungsfehler.
- Übersehen eines beginnenden Infarkts am dritten Tag: Eine Notärztin verkannte am Morgen im EKG die eindeutigen Anzeichen eines beginnenden Infarkts. Auch dies wurde als grober Behandlungsfehler eingestuft.
- Mangelhafte Reanimation: Nach dem eingetretenen Herzstillstand erfolgte die Reanimation unzureichend und verzögert, was zu einem hypoxischen Hirnschaden führte.
Die Folge dieser Fehlerkette war verheerend: Der Patient erlitt einen Herzinfarkt mit anschließendem Herzstillstand, der zu einem schweren hypoxischen Hirnschaden führte. Er verstarb schließlich an den Folgen dieser Ereignisse.
Das OLG Hamm stellte in seiner Entscheidung fest, dass bei korrekter Diagnose der Patient rechtzeitig einer Herzkatheteruntersuchung unterzogen worden wäre, wodurch der Infarkt und die schwerwiegenden Folgen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätten vermieden werden können.
Rechtliche Konsequenzen: Schadensersatzansprüche bei EKG-Fehldiagnosen
Bei einem nachgewiesenen Behandlungsfehler im Zusammenhang mit einer EKG-Fehldiagnose können folgende Ansprüche bestehen:
- Schmerzensgeld: Eine finanzielle Entschädigung für erlittene Schmerzen und Einschränkungen. Im Fall des OLG Hamm wurden 100.000 Euro zugesprochen.
- Materieller Schadensersatz: Ersatz aller finanziellen Schäden, wie:
- Verdienstausfall
- Behandlungs- und Pflegekosten
- Umbaumaßnahmen im Wohnbereich
- Fahrtkosten
- Ansprüche der Angehörigen: Bei einem tödlichen Verlauf können Angehörige als Rechtsnachfolger die Ansprüche geltend machen.

Was Betroffene tun sollten: Erste Schritte bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler
Wenn Sie vermuten, dass ein Herzinfarkt aufgrund einer fehlerhaften EKG-Interpretation nicht oder zu spät erkannt wurde, sollten Sie folgende Schritte unternehmen:
- Medizinische Unterlagen sichern: Fordern Sie umgehend sämtliche Behandlungsunterlagen an, insbesondere:
- Alle EKG-Aufzeichnungen
- Arztbriefe und Entlassungsberichte
- Laborbefunde (insbesondere Herz-Enzyme)
- Pflegedokumentation
- Fristen beachten: Ansprüche aus Behandlungsfehlern verjähren grundsätzlich nach drei Jahren zum Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Patient Kenntnis erlangt hat. Im Zweifel sollten Sie jedoch frühzeitig rechtlichen Rat einholen.
- Medizinischen Sachverstand einholen: Die Beurteilung, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, erfordert medizinische Fachkompetenz. Eine Ersteinschätzung kann oft durch:
- den weiterbehandelnden Arzt
- den MD (Medizinischen Dienst der Krankenkassen)
- einen medizinischen Sachverständigen erfolgen.
- Beweise sichern: Dokumentieren Sie alle Symptome, Beschwerden und deren zeitlichen Verlauf. Auch Zeugenaussagen von Angehörigen können wertvoll sein.
Die Rolle des Fachanwalts für Medizinrecht
Arzthaftungsfälle, insbesondere bei komplizierten medizinischen Sachverhalten wie EKG-Fehlinterpretationen, erfordern spezifisches Fachwissen. Ein Fachanwalt für Medizinrecht kann:
- die medizinische und rechtliche Situation fachkundig einschätzen
- die notwendigen Beweise sichern und aufbereiten
- geeignete medizinische Sachverständige vorschlagen
- den Schriftverkehr mit Ärzten, Krankenhäusern und Versicherungen führen
- außergerichtliche Verhandlungen führen oder bei Bedarf Klage erheben
- Sie durch das gesamte Verfahren begleiten
Die frühzeitige Einschaltung eines spezialisierten Anwalts erhöht die Chancen auf eine angemessene Entschädigung erheblich.

Wichtig: Rechtzeitige Durchsetzung Ihrer Rechte bei EKG-Fehldiagnosen
Die fehlerhafte Interpretation von EKG-Befunden kann schwerwiegende Folgen haben. Wie das Urteil des OLG Hamm zeigt, können Patienten bei nachgewiesenen Diagnoseirrtümern erhebliche Entschädigungsansprüche geltend machen. Besonders bei groben Behandlungsfehlern ist die rechtliche Position der Geschädigten durch die Beweislastumkehr deutlich gestärkt.
Wenn Sie selbst oder ein Angehöriger von einem solchen Fall betroffen sind, sollten Sie nicht zögern, Ihre Rechte geltend zu machen. Die rechtzeitige Dokumentation und Beweissicherung sowie die frühzeitige Konsultation eines spezialisierten Fachanwalts sind entscheidend für den Erfolg Ihrer Ansprüche.
Als Patient haben Sie ein Recht auf eine sorgfältige und dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung. Bei Verstößen gegen diesen Standard steht Ihnen ein angemessener Ausgleich zu – wir unterstützen Sie dabei, diesen durchzusetzen.

Häufige Fragen zu EKG-Fehldiagnosen und Behandlungsfehlern
1. Was gilt rechtlich als Behandlungsfehler bei der EKG-Befundung?
Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn der Arzt bei der Interpretation des EKGs vom anerkannten medizinischen Standard abweicht. Dies kann das Übersehen typischer Infarktzeichen wie ST-Strecken-Veränderungen oder das Unterlassen notwendiger Kontrolluntersuchungen umfassen. Besonders schwerwiegend ist das Nichtbeachten dynamischer EKG-Veränderungen, die auf ein akutes Koronarsyndrom hindeuten.
2. Welche Beweislast trifft mich als Patient bei einem vermuteten EKG-Diagnosefehler?
Grundsätzlich müssen Sie als Patient den Behandlungsfehler und dessen Ursächlichkeit für den eingetretenen Schaden beweisen. Bei einem groben Behandlungsfehler – etwa dem Übersehen eindeutiger Infarktzeichen im EKG – kehrt sich jedoch die Beweislast um. Der Arzt muss dann beweisen, dass der Schaden auch bei korrekter Diagnose eingetreten wäre.
3. Wie hoch kann ein Schmerzensgeld bei einem übersehenen Herzinfarkt ausfallen?
Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt vom Einzelfall ab, insbesondere von der Schwere der Folgen und dem Verschuldensgrad. Bei schweren Folgeschäden wie einem hypoxischen Hirnschaden können Beträge im sechsstelligen Bereich zugesprochen werden, wie das OLG-Hamm-Urteil mit 100.000 Euro zeigt. Bei Todesfällen oder schwersten Behinderungen können die Beträge noch deutlich höher ausfallen.
3. Kann ich auch gegen das Krankenhaus Ansprüche geltend machen oder nur gegen den behandelnden Arzt?
Sie können sowohl gegen den behandelnden Arzt als auch gegen das Krankenhaus als Träger vorgehen. Das Krankenhaus haftet für seine angestellten Ärzte vertraglich oder deliktisch. Zudem kann bei einer Kette von Behandlungsfehlern auch ein Organisationsverschulden des Krankenhauses vorliegen, etwa wenn Chefärzte ihrer Aufsichtspflicht nicht nachkommen.
4. Welche Fristen muss ich bei der Geltendmachung von Ansprüchen beachten?
Ansprüche aus Behandlungsfehlern verjähren grundsätzlich in drei Jahren zum Jahresende (§ 195 BGB). Die Verjährungsfrist beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Patient von den anspruchsbegründenden Umständen Kenntnis erlangt hat. In bestimmten Fällen kann auch eine längere Verjährungsfrist von bis zu 30 Jahren gelten (§ 199 Abs. 2 BGB).